So zu Hause wie möglich.

Wenn ein neuer Patient auf die Palliativstation der Barmherzigen Brüder in München kommt, nimmt ihn der Physiotherapeut Estifanos Besrat erst einmal auf einen Rundgang mit. Einfach so, wenn der Patient kräftig genug ist. Oder mit dem Rollator. Oder mit einem Stuhl, damit der Patient sich zwischendurch hinsetzen kann, nach jedem dritten oder vierten Schritt. Estifanos Besrat findet es wichtig, dass seine Patientinnen und Patienten nicht nur ihr Zimmer kennen, sondern sich auch mit ihrer Umgebung vertraut machen. Einem Besucher sagen können, wo er Kaffee holen kann und die Blumenvase findet. Eben ganz wie zu Hause.

Zeit und Raum

Als erstes spaziert Estifanos Besrat mit dem Patienten zur gläsernen Flügeltür, die in den Garten führt. Hier gegenüber, erklärt Besrat dann, wohnen die indischen Ordensschwestern, links ist der Sitz des Provinzials der Barmherzigen Brüder, dort hinten, rechts, das Hospiz. Und wo, fragen die Patienten dann oft, ist das Schloss? Besrat streckt seinen Arm aus: In dieser Richtung, hinter den Mauern, erhebt sich Schloss Nymphenburg.

Die nächste Station ist die Kapelle. Manche Patienten werfen einen kurzen Blick in den Raum, ebenso schlicht wie warm gestaltet, mit viel Holz und erdigen Goldtönen, sagen „aha“ und gehen weiter. Wenn einer bleiben mag, führt Besrat ihn nach vorn, zur ersten Stuhlreihe, und hilft ihm, sich zu setzen. Dann sucht er sich selbst einen Stuhl ganz hinten und lässt dem Patienten Raum und Zeit. Später gehen sie weiter.

Abschalten. Reden. Streiten.

Estifanos Besrat schiebt Rollstuhl durch Krankenhausflur.

Schräg gegenüber der Kapelle führt ein kurzer Gang zum Wohnzimmer der Angehörigen. Auch um Familie und enge Freunde der Patienten kümmert man sich auf der Palliativstation. Sie sollen einen Ort haben, an den sie sich zurückziehen können, einen Moment oder eine Stunde lang abschalten von der Sorge und Fürsorge, wo sie miteinander reden können, sich besprechen, streiten. Die langen Sofas sind auch gut, um sich mal auszustrecken.

Weiter vorn, am Ende des Flurs vom Eingang her, liegt ein zweites, das zentrale Wohnzimmer mit Sitzgruppen, einem langen, ovalen Tisch, einem Klavier. Die Wand zum Flur hin ist verglast; hinter einer breiten Fensterfront erstreckt sich wieder Garten. Hier sitzen Patientinnen und Patienten allein oder mit Angehörigen, hier wird musiziert, gelesen, gespielt. Auch das Stationsteam trifft sich hier zur täglichen Übergabe; nur dann ist die Flügeltür geschlossen. Vor dem Wohnzimmer bilden der Flur Richtung Eingang und der lange Gang zu den Patientenzimmern eine Kreuzung; in zwei Ecken stehen Stühle und Tischchen. Manchmal, erzählt Estifanos Besrat, setzen sich Patienten, die immer viele Menschen, viel Leben um sich hatten, hierher und gucken den Menschen und dem Leben noch ein paar Stunden lang zu.

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Alles ist erlaubt

Hat der Patient noch genug Kraft für den restlichen Rundgang? Ja? Dann erlebt er gleich eine Überraschung. „Raucherzimmer“ steht da auf einem Schild rechts im Gang. Stimmt, erklärt Estifanos Besrat dem erstaunten Neuankömmling dann, Raucher müssen nicht vor die Tür. Das Raucherzimmer mit seinem Fliesenboden und den gekachelten Wänden ist nicht der Gipfel der Gemütlichkeit, aber es muffelt nicht und man sitzt gemütlich in Korbstühlen. Auf dem Tisch liegt ein elektrischer Zigarettenanzünder, auf einem Schränkchen harren zwei tapfere Topfpflanzen. Wer nur noch Wochen oder Tage zu leben hat, wird auf der Palliativstation nicht mit Ratschlägen zur gesunden Lebensführung malträtiert. „Es gibt hier keine Verbote“, sagt Besrat. Wer nicht mehr gehen und nicht einmal mehr im Rollstuhl sitzen kann, wird samt Bett ins Raucherzimmer geschoben. Dann bekommt er eine Schutzschürze umgelegt, damit er nicht versehentlich sich oder sein Bett in Brand setzt.

Estifanos Besrat zeigt das Raucherzimmer der Palliativstation.
So, nur noch einige Schritte. Dort hinten links ist die Kaffeeküche, danach zweigt ein weiterer Gang mit Patientenzimmern ab. Und hier, geradeaus, führt der Weg weiter zum Hauptgebäude des Krankenhauses. Das ist es also, das Zuhause auf Zeit. Viele Menschen verlassen die Palliativstation nach einigen Tagen oder Wochen stärker, ruhiger, mit weniger Schmerz. Andere werden bis dahin gestorben sein.

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